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13. Juli 2022

Rechnen am Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart – wie Unternehmen von der starken Rechenleistung profitieren

Viele denken, Rechnen auf dem Supercomputer HAWK des Höchstleistungsrechenzentrums Stuttgart (HLRS) können nur größere Unternehmen, die auch entsprechende Projekte mit hohem Rechenzeitbedarf durchführen. Doch in Wahrheit haben auch kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) die Möglichkeit Rechenleistung des HLRS zu nutzen. Denn es gilt: Abgerechnet wird nur, was wirklich gerechnet bzw. simuliert wird, so dass die Größe eines Unternehmens keine Einschränkung für die Nutzung des HLRS bedeutet; und der Prozess soll möglichst unkompliziert für alle sein, ganz ohne große Hürden.

Wir waren im Gespräch mit einer ganz neuen Nutzerin, Frau Dr. Susanne Kilian, die seit Anfang des Jahres die Rechenleistung sowie das Know-how des HLRS nutzt, um ihre Projektabläufe deutlich effektiver zu gestalten.

Frau Dr. Kilian ist Computational Scientist, arbeitet seit mehreren Jahren im Ingenieurbüro hhpberlin und beschäftigt sich dort intensiv mit dem Thema Brandschutzsimulation. Ihr Unternehmen stellt sicher, dass brandschutzrechtliche Verordnungen eingehalten werden und setzt dabei auf computergestützte Simulation unterschiedlicher Brandszenarien. Frau Dr. Kilian ist dabei zuständig für die Entwicklung und Anwendung des Fire Dynamic Simulator (FDS), einer Software zur Simulation von Brand- und Rauchausbreitungsprozessen. Mit komplexen Algorithmen und Supercomputern bekämpft sie Brände, noch bevor sie entstehen. Die physikalischen Strömungsvorgänge eines Brandes werden dabei simuliert und ausgewertet. Somit ist es möglich, Brände besser zu verstehen und so ihre Entwicklung vorherzusagen, sie wirksamer zu bekämpfen oder gar zu verhindern.

Um schnellere Ergebnisse in ihrer Simulationsarbeit zu erreichen, nutzen sie und ihr Team seit neuestem die Rechenressourcen des HLRS und rechnen auf HAWK. Im Folgenden berichten sie von Ihren bisherigen Erfahrungen.

N. Prange: Frau Dr. Kilian, was ist Ihrer Meinung nach der Reiz an Brandsimulation?

Dr. Kilian: Die wachsende Komplexität heutiger Sonderbauten (wie z.B. Einkaufszentren oder U-Bahn-Stationen) stellt Ingenieure und Bauaufsichtsbehörden immer häufiger vor die Frage, wie die betrachteten Gebäudestrukturen und -nutzungen mit dem starren Baurecht in Einklang gebracht werden können. Typischerweise sind Gebäude dieser Art durch ausgesprochen komplexe geometrische Details, riesige Gebäudevolumina und großflächige Nutzungseinheiten (z.B. große Atrien) gekennzeichnet und stellen höchste Ansprüche an eine variable und flexible Nutzbarkeit (z.B. tagsüber Büro- oder Verkaufsfläche, abends Veranstaltungsort). Die daraus resultierenden Abweichungen vom üblichen Standardgebäude sind häufig nicht mit den bauordnungsrechtlichen Vorschriften in Einklang zu bringen und erfordern eine alternative Neubewertung des zu erwartenden Sicherheitsniveaus sowie eine belastbare Rechtfertigung von Abweichungen. Das Mittel der Wahl ist hierzu die Anwendung moderner Brandsimulationsmethoden, die in maßgeschneiderter Weise auf die Gegebenheiten des betrachteten Gebäudes angepasst werden können.
N. Prange: Welche Rechenkapazitäten benötigen Sie (pro Rechnung, pro Monat)?
Dr. Kilian: Die geometrische Modellierung eines betrachteten Sondergebäudes beinhaltet in der Regel mehrere Dutzend Millionen Gitterzellen, für die ausgesprochen komplexe numerische Berechnungen durchgeführt werden müssen. Hierbei genügt es nicht, nur einen Snapshot für einen einzigen Zeitpunkt des Brandgeschehens zu ermitteln. Vielmehr müssen alle Berechnungen über die komplette Branddauer hinweg (z.B. eine halbe Stunde) in sehr kleinen Zeitintervallen wieder und wieder durchgeführt werden, um auch die zeitliche Dynamik des Brandes adäquat zu erfassen. Daraus ergeben sich sehr umfangreiche und langwierige Berechnungen, die das Rechen- und Speicherplatzpotential heutiger Einzelplatzrechner bei weitem übersteigen und nur auf modernen Hochleistungscomputern adäquat durchgeführt werden können. Doch selbst unter Verwendung von 10 bis 20 leistungsstarker Prozessorkerne, die in unserem Hause typischerweise für eine einzelne Simulationen verwendet werden, belaufen sich die zugehörigen Rechenzeiten in der Regel auf mehrere Wochen. Eine weitere Skalierung auf noch höhere Prozessorzahlen ist zwar möglich, ihre Effizienz muss jedoch vor dem Hintergrund algorithmischer Beschränkungen sorgfältig abgewogen werden.

N. Prange: Wie lange dauert es, an Ihren Themen zu forschen?

Dr. Kilian: Die Simulation eines potentiellen Brandgeschehens muss unterschiedlichste Teilaspekte und deren Wechselwirkungen berücksichtigen (zeitlicher Verlauf der Rauch- und Temperaturentwicklung, Wärmeeintrag in Bauteile, Standsicherheit im Brandfall, toxische Rauchgaskonzentrationen, Nachweis der Personenrettung, etc.). Weiterhin muss eine Vielzahl möglicher Eingabeparameter in Betracht gezogen werden (unterschiedliche Ventilationen, Materialparameter, Brandlasten und Wärmefreisetzungsraten, etc.). Doch trotz signifikanter Fortschritte im Verlauf der letzten Jahre befinden sich die numerischen Ingenieurmethoden des Brandschutzes noch in einem sehr jungen Entwicklungsstadium und werden derzeit noch intensiv beforscht. Die Entwicklung des Simulationsprogramms FDS, das bereits vor über 20 Jahren seinen Anfang nahm, orientiert sich fortlaufend am aktuellen Stand der Wissenschaft und wird in sehr aktiver Weise kontinuierlich vorangetrieben.

N. Prange: Wie ist der Einstieg in das Rechnen am HLRS verlaufen?

Dr. Kilian: Der Einstieg ins Rechnen am HLRS hat sich von Anfang an als ausgesprochen reibungslos und nutzerfreundlich erwiesen. Nach erfolgreicher Abwicklung der Anmeldungs- und Zugangsformalitäten konnten noch offene Fragen rund um die initialen Zugriffsberechtigungen sehr schnell und nachhaltig geklärt werden. Auch für technische Fragen hinsichtlich der korrekten Benutzung der vorhandenen Rechnerumgebungen (MPI, OpenMP, etc.) stand der Nutzersupport immer ausgesprochen zügig und detailliert mit Rat und Tat zur Seite. Um aussagekräftige Vergleiche zu anderen Rechnersystemen zu erhalten, sind aktuell umfangreiche Laufzeitvergleiche für ausgewählte Testrechnungen im Gange.

Wie es dazu kam …

Im Dezember 2021 war Frau Dr. Kilian als Referentin auf dem fünften industrial HPC User Round Table (iHURT) zu Gast, einer Veranstaltung des HLRS und von SICOS BW für Anwender aus großen und kleinen Unternehmen rund um Höchstleistungsrechnen (High Performance Computing – HPC) und Simulation. Hier berichtete sie über anspruchsvolle numerische Brandsimulationen sowie deren Risiken und Nebenwirkungen. Im Laufe des Events wurde schnell klar, dass eine Unterstützung durch die Rechenressourcen der Universität Stuttgart einige Arbeitsabläufe bei hhpberlin erheblich beschleunigen könnte. Wie auch bei vielen anderen Unternehmen reicht die Rechenleistung der eigenen Systeme oftmals nicht aus. Um durch Nutzung der Rechenressourcen des HLRS hier effektive Abhilfe zu schaffen, entschied sich hhpberlin für einen entsprechenden Clusterzugang.

Der Prozess

Nach dem ersten Gespräch und der Entscheidung für die Nutzung der Rechenzeit des HLRS, erhielt Frau Dr. Kilian einen Liefervertrag. Der Aufnahmeprozess ist unkompliziert aber an einige wenige Bedingungen geknüpft. Geprüft werden Daten zur Firma und deren Richtigkeit; die Inhalte der Rechnungen sind nicht von Bedeutung (abgesehen davon, dass beispielsweise keine militärischen Fragestellungen bearbeitet werden dürfen) . Die Rechte der Simulationsergebnisse bleiben selbstverständlich beim Kunden, alles bleibt streng vertraulich. Insgesamt ist der Vertrag auf zwei Jahre befristet, kann aber jederzeit gekündigt oder unkompliziert verlängert werden. Ist der Liefervertrag unterzeichnet, muss jeder Nutzer nur noch einen Antrag auf Nutzung stellen, der in der Regel innerhalb von zwei Arbeitstagen den Zugang ermöglicht. Ein Benefit, den auch Frau Dr. Kilian schätzt, ist, dass nur die Rechenleistung abgerechnet wird, die tatsächlich genutzt wird. Auch muss Sie weder Rechenleistung anmelden oder reservieren, sondern kann die Ressourcennutzen wann und wie Sie sie benötigt, was jedem Nutzer sehr entgegenkommt; es gibt auch keine Mindestabnahmeverpflichtung. Der Preis für eine Stunde Rechenzeit wurde nach festen Regeln ermittelt (schließlich handelt es sich um einen Rechner, der mit Steuergeldern finanziert wird), ist aber durchaus attraktiv. In Summe kann der Prozess vom ersten Gespräch bis zum tatsächlichen Rechnen auf der HAWK in 4-5 Tagen abgeschlossen werden. Grundsätzlich aber erfordert die Antragsstellung auf Rechenressourcen keine lange Wartezeit.

Benefit für Unternehmen

Unternehmen profitieren so von der Supercomputing-Rechenleistung, indem sie auf höchstem Niveau, unkompliziert und zu günstigen Bedingungen am HLRS rechnen können. 
Im Falle von Frau Dr. Kilian und hhpberlin ergaben sich folgende positive Erfahrungen: Neben der bisher ohnehin schon langen Berechnungszeit für eine einzelne FDS-Simulation beinhaltet die brandschutztechnische Nachweisführung für ein Sondergebäude die Betrachtung mehrerer unterschiedlicher Brandszenarien. Stehen hierzu keine effizienten Rechnerressourcen in ausreichendem Maße zur Verfügung, so ergeben sich zwingend sehr lange und unwirtschaftliche Projektlaufzeiten. Der Zugang zu den umfangreichen und extrem leistungsfähigen Rechnerressourcen am HLRS bietet hingegen die Möglichkeit, die genannten Szenarien jeweils simultan in höchstmöglicher Geschwindigkeit durchzuführen, so dass Projektlaufzeiten drastisch reduziert und für den Bauherrn erheblich effektiver gestaltet werden können.

Ein Blick in die Zukunft

Denkbar sind außerdem weitere gemeinsame Anknüpfungspunkte mit dem HLRS. Die HPC-orientierte Skalierbarkeit von FDS basiert wesentlich auf speziellen algorithmischen Strukturen im Zusammenhang mit der Simulation der Druckausbreitung. Die weitere Verbesserung der zugehörigen Parallelisierungseigenschaften des Codes gehört zu den noch offenen Meilensteinen innerhalb der weiteren Programmentwicklung. Eine Kooperation mit dem HLRS bietet in diesem Zusammenhang die hervorragende Möglichkeit, neue algorithmische Konzepte zu erproben und im HPC-Kontext auf ihre Nachhaltigkeit zu testen.

Ein Beitrag von Dr. Susanne Kilian (hhpberlin) und Nicole Prange (Sicos BW GmbH).

Wir von der Sicos BW GmbH danken Frau Dr. Kilian ganz herzlich für Ihre Zeit und fachkundige Unterstützung!